In den letzten beiden Artikeln dieser Serie, den Mythen #05 und #06, haben wir jeweils die Vor- und Nachteile von Single Family Offices (SFO) und Multi Family Offices (MFO) beleuchtet. Während für ein SFO dessen große Individualität, Unabhängigkeit, Kontinuität und Transparenz sprechen, punktet das MFO mit Skaleneffekten, digitalisierteren und oft auch professionelleren Prozessen sowie Vorteilen aus der Nachfragebündelung. Die Vorteile des einen Konzepts sind meist die Nachteile des anderen. Das legt es nahe, nach einem Mittelweg zu suchen, der die Vorteile aus beiden Konzepten verbindet und die Nachteile möglichst vermeidet. Das Virtual Family Office (VFO) wird von manchen als dieser Mittelweg gesehen. Wenn das so wäre, könnte es tatsächlich das Konzept für die Zukunft darstellen.
Was ist ein Virtual Family Office? So wie der Begriff des Family Offices selbst und auch all seiner Ausgestaltungen ist das VFO ebenfalls nirgends definiert. Die Idee eines VFO besteht darin, die hohen Kosten eines SFO durch möglichst weitgehenden externen Bezug von Leistungen Dritter zu vermeiden. Anders als von MFOs angestrebt, sollen die Leistungen aber nicht tunlichst aus einer Hand bezogen werden, sondern jeweils von unterschiedlichen, spezialisierten Anbietern. Damit sollen allein ausgerichtet am Interesse der Familie überall die jeweils besten Anbieter gewonnen werden. In jedem Such- und Ausschreibungsprozess kann mit allen auf die jeweilige Dienstleistung spezialisierten Anbietern darüber diskutiert werden, wie sie ihre Leistung möglichst nah an den Bedürfnissen der Familie ausrichten können. Ziel ist, eine Gruppe von Dienstleistern zusammenzustellen, die jeder maximal professionell, fokussiert auf ihre Leistung und maximal (kosten-)transparent agieren. Gleichzeitig besteht eine große Flexibilität, weil jeder dieser Anbieter jederzeit ausgetauscht werden kann. Diese ist sogar größer als bei einem MFO (SFO ohnehin), da der Einschnitt in das gesamte Leistungsgefüge viel geringer ist, wenn nur einer unter vielen Dienstleistern ausgetauscht wird. Beim Austausch eines MFO oder der Neustrukturierung eines SFO wird meist gleich die Axt an das gesamte Dienstleistungsspektrum gelegt.
Die Vorteile VFO-Idee liegen auf der Hand: Was das Know-how betrifft, kann wie beim MFO von den bei zahlreichen Mandanten gesammelten Erfahrungen der Dienstleister profitiert werden. Daher entfällt die für SFOs typische Lernkurve und ist gewährleistet, dass die Qualität der Dienstleistungen regelmäßig den Marktentwicklungen angepasst wird. Bei den Leistungsinhalten ist man tendenziell flexibler als bei Beauftragung eines MFOs, weil man aus der Dienstleistungspalette des gesamten Markts und nicht nur der des MFO auswählen kann. Dieser Umstand vermittelt auch größere Freiheiten bei der Festlegung der strategischen Ausrichtung des Family Office, die mit denen bei einem SFO vergleichbar sind. Anders als dort spart man sich aber weitgehend den Aufbau einer kostenintensiven Struktur und die Abhängigkeit von einzelnen Personen. Auch die bei MFOs erwartbaren und bei SFOs vermissten Skaleneffekte kommen der Familie bei VFOs zugute, zumindest sollten die mit Volumenausweitungen dort verbundenen Sprungfixkosten kein Thema sein. Besser als beim MFO können Dienstleistungsbestandteile, die die Familie nicht benötigt, aussortiert werden. Und die Sorge vor Cross-Selling-Risiken sollte bei einem VFO ebenfalls geringer sein als bei einem MFO.
In mehrfacher Hinsicht sortiert sich das VFO in einer Vorteilhaftigkeits-Bandbreite irgendwo zwischen SFO und MFO ein: Die regulatorischen Anforderungen an die einzelnen Anbieter dürften größer sein als im SFO, aber geringer als im MFO. Bei der Transparenz hinsichtlich der einzelnen Prozesse dürfte es hingegen umgekehrt sein. Bei der Einzelauswahl von Dienstleistern wird man sich deren Prozesse genau anschauen, bei der Beauftragung eines MFO tut man das wegen der Fülle der unterschiedlichen Leistungen eher nicht, sondern vertraut auf die handelnden Personen.
Bei einer so positiven Zwischenbilanz fragt sich natürlich, wo bei einem VFO der Haken ist. Und tatsächlich: Die Herausforderung wird darin liegen, die ganzen perfekt ausgewählten Dienstleister untereinander und mit den Interessen der Familie zu koordinieren. Hierfür bedarf es einer erfahrenen Persönlichkeit, die die Belange der Familie gut versteht, die Dienstleister beurteilen, überwachen und koordinieren kann und idealerweise gleichzeitig noch das in der Familie regelmäßig vorhandene Bedürfnis abdeckt, mit jemanden auf Augenhöhe die allgemeinen inhaber- und vermögensstrategischen Fragen diskutieren zu können. Im originären VFO ist auch diese Person kein Angestellter, sondern ein eng verbundener externer Berater. Das hat den Vorteil, dass diese – angesichts ihres Anforderungsprofils gehaltlich eher teure – Person nicht 365 Tage im Jahr Vollzeit bezahlt werden muss. Stattdessen werden mit ihr feste Stundenbudgets für die laufende Überwachung und flexible Beratungsgebühren für strategische Diskussionen und Ausschreibungsprozesse vereinbart. Das ist definitiv die schlankeste und flexibelste Form der Organisation eines Family Offices. Da die Kosten hierfür weitgehend volumenabhängig sind, kommt sie auch für kleinere Vermögen in Betracht. Eine die Verantwortung neu übernehmende Generation ist durch diese Struktur in sehr geringem Maße präjudiziert und kann sie jederzeit mehr oder weniger einschneidend ihren Vorstellungen anpassen.
Die Kernfrage ist, ob die Verbindung des externen Head of VFO mit der Familie als hinreichend eng empfunden wird. Was den Vorteil der Flexibilität, Kosteneffizienz und relativen Unverbindlichkeit ausmacht, bedeutet auf der anderen Seite natürlich auch eine gewisse Distanz, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Distanz zur Leistung als solcher mit der Folge, dass deren dauerhafte Qualität vielleicht nicht immer zeitnah sichergestellt werden kann. Distanz zur Familie mit der Konsequenz, dass deren Bedarfe und strategische Interessen vielleicht nicht optimal verstanden werden. Und Distanz zu den Familienmitgliedern, für die möglicherweise die Hemmschwelle zur Kontaktaufnahme bei einem externen Berater größer ist als bei „ihrem“ Family Officer. Diese Distanz kann dadurch etwas reduziert werden, dass der Head of VFO Bestandteil eines für die Strategiefestlegung zuständigen Organs wird und somit schon institutionalisiert zum einen an die Familie gebunden, zum anderen aber auch in die strategischen Überlegungen eingebunden ist.
Alternativ kann man den Head of VFO auch in der Familienholding anstellen, ihm vielleicht noch eine Assistenz zur Seite stellen und damit ein Mini-Family Office gründen, dessen Tätigkeit sich im Wesentlichen auf die Koordinierungs- und Strategieberatungsfunktionen beschränkt. Damit hat man quasi ein hybrides Family Office (HFO), dem man auch noch einzelne weitere Funktionen zuweisen kann, die sich am Markt entweder nicht gut einkaufen lassen oder die die Familie aus irgendwelchen Gründen exklusiv für sich haben will. Die Abgrenzung eines solchen HFO zum SFO ist nicht trennscharf; der Unterschied liegt im Fokus: Während auch ein SFO in den allermeisten Fällen nicht sämtliche Leistungen intern erbringt, so ist das „Make“ doch der eigentliche Anspruch und die DNA des SFO. Beim HFO dagegen ist die DNA das „Buy“, also das prinzipielle Outsourcing von Dienstleistungen, die nur durch eine interne Klammer zusammengehalten werden. Damit verliert man gegenüber dem VFO etwas an Kosteneffizienz und Flexibilität, aber gewinnt an Verbindlichkeit und Nähe. Allerdings haben bestehende Strukturen auch immer den Hang zum Wachstum, so dass es passieren kann, dass ein HFO nach und nach zum SFO mutiert. Diese Gefahr besteht bei einem VFO nicht.
Diese nur holzschnittartigen Überlegungen vermitteln vielleicht einen Eindruck davon, wie vielfältig die Optionen bei der Organisation einer professionellen Vermögensverwaltung sind. Es lohnt sich, sich hierüber vertiefte Gedanken zu machen. Der Autor dieses Beitrags unterstützt Sie gern dabei.