Im vorherigen Teil dieser Artikelserie (Mythos #05: Wer etwas auf sich hält, gründet ein eigenes Family Office) haben wir die Gründe betrachtet, die für ein Single Family Office (SFO) sprechen. Einige kritische Aspekte waren dabei allerdings auch nicht zu übersehen, so dass wir nun einmal ein Multi Family Office (MFO) in den Blick nehmen wollen. Haupt-Nachteil eines SFO sind die mit ihm verbundenen Kosten, die sich vor allem aus der dort praktisch völlig fehlenden Skalierbarkeit der Leistungen ergeben. Ein MFO, das viele gleichartige Leistungen für unterschiedliche Familien erbringt, hat hier ganz andere Möglichkeiten. Das sollte sich in der Qualität der Leistungen und ihrem Preis positiv für die Familien auswirken. Die zunehmende Digitalisierung verstärkt diesen Effekt: Während sie sich für SFOs in mancherlei Hinsicht gar nicht lohnt, schafft sie für MFOs noch mehr Möglichkeiten zur Skalierung.
Dies ist der eine Aspekt, der einen Trend in Richtung MFO begründen könnte. Ein anderer hängt damit eng zusammen: Indem sich MFOs bei der Digitalisierung gegenüber SFOs immer mehr Vorteile herausarbeiten, sind sie in der Lage, immer bessere und schnellere Leistungen und Daten bereitzustellen, was sie bei der Technik-affinen NextGen zunehmend attraktiver erscheinen lässt. Die NextGen wird auch für einen weiteren Trend-Aspekt zugunsten von MFOs bemüht: Sie soll – so wird verschiedentlich behauptet – die Flexibilität und Kündbarkeit von Dienstleistungsverhältnissen dem starren Vorhalten einer SFO-Struktur vorziehen und teilweise mit dem von der Vorgänger-Generation aufgebauten SFO fremdeln.
Was ist dran an diesen Argumenten? Läutet die Digitalisierung letztlich auch für SFOs das Totenglöcklein? So dramatisch ist es sicherlich nicht, weil – wie im Artikel zu Mythos #05 gezeigt – eben sehr viele gute Gründe für SFOs sprechen können. Außerdem ist die NextGen weder in ihrer Begeisterung für die Digitalisierung noch in ihrer Abneigung gegen etablierte Strukturen so homogen, dass sich daraus schon ein Trend ableiten ließe. Hinzu kommt, dass sie meistens auch nicht allein entscheidet. Vor allem lassen sich aber in einer geschickten Strukturierung eines SFO dessen vermeintliche Nachteile durch externen Bezug bestimmter Leistungen weitgehend kompensieren.
Dennoch: Für viele Familien wird ein MFO die bessere Wahl sein. Das hat natürlich viel mit den Kosten zu tun. Gerade für kleinere Vermögen, kleinere Familien und weniger komplexe Strukturen wird die durch ein SFO mögliche, aber eben auch zu bezahlende Individualität der Leistungen oft nicht benötigt. Je skalierbarer hier die Leistungen sind, desto mehr werden MFOs ihre Vorteile ausspielen können. Während für SFOs Sprungfixkosten bei der Einstellung neuer Mitarbeiter zur Bewältigung zunehmender Aufgaben meist ein Thema sind, steigen die Kosten der Familie bei wachsendem Volumen im Falle der Beauftragung eines MFO meist linear zum Volumenwachstum.
MFOs haben zudem den Vorteil, dass sie mit relativ kurzer Vorlaufzeit startklar sind. Während die Gründung eines SFO mit dem Aufbau der räumlichen, technischen und personellen Infrastruktur, der Festlegung der Prozesse und der Bildung eines Netzwerks einige Zeit in Anspruch nimmt, muss das MFO lediglich eine Bestandsaufnahme des Vermögens machen und die Bedürfnisse der Familie verstehen, bevor es aus seinem Baukasten die richtigen Werkzeuge zusammensucht und anwendet. Die professionelle Erfahrung vom Start weg, gewonnen aus jahrelangem Lernen aus dem Tätigsein für andere Familien, ist ein signifikanter Vorteil. Soweit diese Erfahrung in Prozesse gegossen wurde, die im Einzelfall vielleicht als starr empfunden werden, so hat das immerhin den Vorteil, dass die in einem SFO typischerweise bestehende Abhängigkeit von einzelnen Mitarbeitern bei der Beauftragung eines MFO eher nicht vorkommt. Die Regulatorik einerseits und die potentiellen Haftungsrisiken andererseits sind ihrerseits Garanten dafür, dass die Prozesse in einem MFO stabil und oft professioneller sind als in einem SFO. Nicht zuletzt die Bündelung der Nachfrage nach attraktiven Anlagemöglichkeiten unter den Mandantenfamilien des MFO kann ein erheblicher Vorteil sein, wenn dadurch Zugänge geschaffen werden, die der Familie mit einem SFO nicht offen gestanden hätten.
Darin liegt aber auch gerade eine Gefahr: Das MFO könnte versucht sein, die von ihm angebotenen Leistungen als Lösung für alle Fragestellungen der Familie zu verkaufen und dabei bessere Alternativen aus dem Auge zu verlieren. Die Leistungen eines MFO werden für den Mandanten auch nie so transparent sein, wie sie das in einem SFO sein können. Damit ist man darauf verwiesen, auf die Sorgfalt des MFO bei der Leistungserbringung zu vertrauen, ohne sie letztlich beurteilen zu können. Ebenso wenig kann man übersehen, ob man nicht auch für Leistungsbestandteile bezahlt, die gar nicht benötigt werden. Auch der Individualisierung von Leistungen des MFO sind Grenzen gesetzt, weil sein Geschäftsmodell gerade die Skalierung ist.
Letztlich ist ein MFO ein Dienstleister, der sehr viele und teils heterogene Leistungen für Familien aus einer Hand anbietet. Bei der Entscheidung für ein MFO stellt sich also für ganz viele Leistungen die Frage, ob man sie besser intern erbringt (make) oder extern zukauft (buy). Die für diese Entscheidung relevanten Parameter schauen wir uns in einem weiteren Artikel dieser Reihe an. Aus der Summe der Einzelentscheidungen für jede Leistung ergibt sich dann ein relativ klares Bild, ob und inwieweit es eigener Strukturen bedarf oder inwieweit auf die Dienste eines MFO zurückgegriffen werden kann. Wenn sich dann noch ein MFO findet, dass die für die Familie wichtigen Leistungen in einer guten und auf die individuellen Bedürfnisse der Familie hinreichend abgestimmten Qualität erbringen kann, dann könnte zumindest für diese Familie der Trend zum MFO der richtige sein.
Über einen Punkt sollte man sich dabei aber im Klaren sein: Auch das qualitativ beste, auf die Bedürfnisse der Kunden am meisten eingehende und die besten Relationship Manager beschäftigende MFO kommt nicht ohne einen Counterpart auf der Familienseite aus, der die Bedürfnisse der Familie gegenüber dem MFO sowie die Dienstleistungen, die von Dritten bezogen werden, mit denen des MFO koordiniert. Wenn diese wichtige Funktion nicht nebenbei durch ein Familienmitglied ausgefüllt wird, wird man wegen ihr auch dann, wenn man sich prinzipiell für die Einschaltung eines MFO entscheidet, an der Frage nicht vorbei kommen, inwieweit man auf Familienseite einen Koordinator oder dann doch ein abgespecktes Family Office aufbaut. Diese hybriden oder virtuellen Strukturen sollen Gegenstand des nächsten Artikels sein.